Grundsatzpositionen

  

1. Das soziale Existenzminimum hält die Gesellschaft zusammen

Positionspapier Nr. 1 / August 2015 / Herausgegeben vom Netzwerk Sozialer Aargau

 

Das soziale Existenzminimum hält die Gesellschaft zusammen

 

Einleitung

Das Netzwerk Sozialer Aargau ist besorgt über die politischen Angriffe auf das soziale Existenzminimum und die Sozialhilfe. Der Sozialabbau hat nicht nur Folgen für die Sozialhilfebeziehenden, sondern er destabilisiert auch die Gesellschaft als Ganzes. Die Armut muss bekämpft werden, nicht die Armutsbetroffenen.

Zusammenfassung und Forderungen

Artikel 12 der Schweizer Bundesverfassung garantiert Menschen, die in Not geraten und nicht in der Lage sind, für sich zu sorgen, Hilfe, Betreuung und die Mittel, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind. Die Sicherung des sozialen Existenzminimums, insbesondere die Ausgestaltung und die Ausrichtung der Sozialhilfe, liegt in der Kompetenz der Kantone und Gemeinden. Im Rahmen von Sparmassnahmen kommt das soziale Existenzminimum auch im Aargau immer mehr unter Druck.

Das Netzwerk Sozialer Aargau fordert:

  1. das soziale Existenzminimum für alle im Aargau lebenden Menschen zu garantieren;
  2. dem gesellschaftlichen Zusammenhalt Sorge zu tragen. Gerade Menschen in schwierigen Situationen haben das Recht in Würde zu leben und als vollwertige Bürgerinnen und Bürger partizipieren zu können;
  3. die vollständige Übernahme der neuen SKOS-Richtlinien durch den Aargau, insbesondere der Verzicht auf die Rückzahlung von bezogener Sozialhilfe aus späterem Erwerbseinkommen;
  4. die Einführung von kantonalen Ergänzungsleistungen für armutsbetroffene Familien;
  5. die Krankenkassenprämienverbilligung so auszugestalten, dass Haushalte nicht mehr als 10% des Budgets für Krankenkassenprämien ausgeben müssen und die Bundesmittel ausgeschöpft werden. Die Abschaffung der schwarzen Liste für säumige Krankenkassen-Prämienzahler ist aus sozialen Gründen dringend, denn sie fördert den sozialen und beruflichen Ausschluss und generiert Folgeschäden;
  6. dass der Grosse Rat die kantonale Sozialplanung mit dem Capability-Ansatz verabschiedet und die Umsetzung der entsprechenden langfristigen Investitionen stufenweise gutheisst;
  7. die finanziellen und administrativen Lasten der Sozialhilfe zwischen Gemeinden und Kanton gerechter zu verteilen (Zustimmung zur Neuordnung des Finanzausgleichs);

Was ist das soziale Existenzminimum?

Das soziale Existenzminimum setzt sich zusammen aus den Wohn- und Gesundheitskosten, situationsbedingten Leistungen und dem Grundbedarf. Das heisst, Mietzins im ortsüblichen Rahmen sowie obligatorische Krankenversicherungskosten sind Teil des sozialen Existenzminimums und werden von der Sozialhilfe gedeckt. Auch eingeschlossen sind situationsbedingte Leistungen, die sich aus der besonderen Lage eines Haushalts ergeben, beispielsweise Kinderbetreuungskosten oder benötigte Medikamente. Eine weitere Komponente des sozialen Existenzminimums bildet der Grundbedarf für den Lebensunterhalt. Er orientiert sich am „Warenkorb“ der einkommensschwächsten zehn Prozent der Schweizer Bevölkerung und ist nach Anzahl Personen im Haushalt abgestuft. Mit dem Grundbedarf müssen Ernährung, Kleidung, Energieverbrauch, laufende Haushaltsführung, Gesundheitspflege, Verkehrsauslagen, Kommunikation, Unterhaltung und Bildung, Körperpflege sowie Vereinsbeiträge bezahlt werden.

 

Das Soziale Existenzminimum wird in der Schweiz meistens in Zusammenhang mit der Sozialhilfe genannt. Es ist jedoch wichtig zu sehen, dass sich die Ergänzungsleistungen zu AHV und IV ebenfalls an einem sozialen Existenzminimum orientieren, dieses ist jedoch etwas höher angesetzt. Im Gegensatz zur Sozialhilfe gibt es für die Ergänzungsleistungen einen einklagbaren Leistungsanspruch, der sich berechnen lässt. Ergänzungs­leistungen müssen, anders als bei der Sozialhilfe, nicht zurückbezahlt werden, zudem kommt auch die Verwandtenunterstützungspflicht nicht zum Tragen. Die Ergänzungsleistungen haben sich seit Jahrzehnten zum grossen Teil bewährt und spielen eine wichtige Rolle. Im Aargau erhielten 2014 über 15‘330 Menschen insgesamt 227 Millionen Franken an Ergänzungsleistungen. In der Sozialhilfe erhielten 12‘214 Personen netto 84,5 Millionen Franken (im Jahr 2012). Um der Familienarmut wirkungsvoll begegnen zu können, wäre die Einführung von kantonalen Familienergänzungsleistungen im Aargau ein wirkungsvolles und unkompliziertes Instrument.

 

Die Armut bekämpfen, nicht die Armutsbetroffenen

Die Sozialhilfe geriet in den letzten Monaten politisch stark unter Druck. Kürzungen beim Grundbedarf sind aber aus mindestens zwei Gründen inakzeptabel: Erstens widerspricht eine Beschneidung des Grundbedarfs dem Bedarfsprinzip. Wenn sich der Grundbedarf nicht mehr am Bedarf der ärmsten zehn Prozent der Schweizer Bevölkerung orientiert, wird er zur willkürlichen Grösse. Zweitens ignorieren Befürworterinnen und Befürworter eines Leistungsabbaus, dass das soziale Existenzminimum für Chancengerechtigkeit und für die Bekämpfung der Armut unverzichtbar ist. Derzeit ermöglicht es eine minimale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Ein Geschenk für einen Kindergeburtstag, die Teilnahme an einem Schulsportlager oder ein Abendessen mit Freunden sollen – wenn auch in eingeschränktem Rahmen – möglich bleiben. Kindern aus armutsbetroffe­nen Familien erlaubt dies einen fairen Start ins Leben. Für Erwachsene, das belegen jüngste Studien, sind soziale Netze das zentrale Puzzleteil auf dem Weg aus der Armut zurück ins Berufsleben.

 

Diverse Personengruppen leben auch im Aargau zum Teil weit unter dem sozialen Existenzminimum. Dazu gehören Asylsuchende, vorläufig Aufgenommene Ausländer, Sans-Papiers und Working Poor, die keine Sozialhilfe beantragen. Für wenige Monate mit bescheidensten Mitteln zu überleben ist möglich, wenn dabei die Menschenwürde und die Menschenrechte gewahrt bleiben. Problematisch wird es, wenn Menschen über mehrere Jahre weit unter dem sozialen Existenzminimum leben müssen. Die gesellschaftliche Integration ist so nicht möglich, es droht die soziale Verelendung. Und dies ist bei den beschriebenen Personengruppen die Gefahr.

 

Warum wird das soziale Existenzminimum in Frage gestellt? Ein Erklärungsversuch.

Ein „schlanker“ Staat, der nur so wenig „wie nötig“ umverteilt, ist in unseren Parlamenten mehrheitsfähig geworden. Der interkantonale Steuerwettbewerb war das Vehikel, um in den letzten Jahren laufend Steuern senken zu können, auch im Aargau. Die Verknappung der Staatsfinanzen führt zu Sparpaketen, die naturgemäss die schwächsten Mitglieder am härtesten treffen: sozial benachteiligte Menschen und strukturschwache Gemeinden. In der neoliberalen Gedankenwelt sind jedoch gesellschaftliche Unterschiede bei Einkommen und Vermögen und ein niedriger Sozialtransfer durchaus erwünscht. Nur wer einen Anreiz habe, sich verbessern zu können, werde arbeiten, um sich quasi selber aus dem Sumpf zu ziehen. In dieser Logik wird aber ignoriert, dass die heutige Arbeitswelt an die Arbeitnehmenden sehr hohe Anforderungen stellt und Jobs für Niedrigqualifizierte knapp geworden sind. Nichts desto trotz haben gewisse politische Kreise ein ganzes Vokabular von diffamierenden Zuschreibungen entwickelt: „Soziale Hängematte“ oder „Sozialschmarotzer“ sind Beispiele dafür. Sozial Benachteiligte haben die Folgen zu tragen und werden öffentlich an den Pranger gestellt.

 

Das soziale Existenzminimum ist nicht verhandelbar

Sozial benachteiligte Menschen haben ein Recht, in Würde zu leben. Das soziale Existenzminimum ist für das Netzwerk Sozialer Aargau nicht verhandelbar. Gleichzeitig muss die Ursachenbekämpfung in der Armutspolitik wieder ins Zentrum rücken. Eine investive Sozialpolitik, welche Armut präventiv verhindert, ist in der aargauischen Sozialplanung beschrieben. Es ist nun an der Politik diese umzusetzen. Die eingangs aufgeführten Forderungen stecken dazu einen minimalen Rahmen ab. In einer Schweiz, in der die ökonomischen Ungleichheiten zunehmen, ist sozialer Ausgleich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt unabdingbar.

 

Quellen

Statistisches Amt Kanton Aargau; Caritas Schweiz, Luzern; SVA, Aarau;

Erklärung zur Sozialhilfe vom 16.12.2014

www.skos.ch

2. Zusammenarbeit verbessern, Fachlichkeit erhöhen

Positionspapier Nr. 2 / August 2015 / Herausgegeben vom Netzwerk Sozialer Aargau

 

Zusammenarbeit verbessern, Fachlichkeit erhöhen

 

Einleitung

Im Aargau, dem Kanton der Regionen, ist das Sozialwesen sehr heterogen organisiert. Die Chancen von Zusammenarbeit und Professionalisierung werden zu wenig genutzt. Im Gegenteil, der Widerstand gegen regionale Sozialdienste ist bei den Landgemeinden hoch.

Zusammenfassung

Die Gemeindeautonomie hat im Aargau eine sehr grosse Bedeutung. Dies spiegelt sich insbesondere in der Organisation der Sozialhilfe. Die Arbeit im Sozialbereich ist jedoch in den letzten Jahren wesentlich komplexer und anspruchsvoller geworden. Eine verstärkte regionale Zusammenarbeit und die Professionalisierung der Sozialhilfe sind dringend notwendig.

Das Netzwerk Sozialer Aargau fordert:

  1. Die Komplexität des Sozialwesens macht eine übergreifende Sozialplanung und Steuerung unabdingbar. Diese Steuerung muss auf regionaler und kantonaler Ebene erfolgen.
  2. Der Kanton soll Anreize schaffen, damit mittlere und kleine Gemeinden gemeinsam vermehrt regionale Sozialdienste errichten.
  3. Die Gewährung von materieller und die immaterieller Sozialhilfe (also die Beratung) sind komplexe Aufgaben in einem oft schwierigen Umfeld. Dafür ist eine hohe Fachlichkeit notwendig. Das Sozialhilfe- und Präventionsgesetz und die dazu gehörende Verordnung müssen dafür fachliche Standards bezüglich Qualität und Betreuungsschlüssel enthalten.

Die Gemeindeautonomie steht zuoberst

Im Kanton Aargau gibt es im Moment 213 politische Gemeinden, die vom Gesetz her verpflichtet sind einen Sozialdienst zu führen. Welche Anforderungen so ein Sozialdienst zu erfüllen hat, dazu sagt das Sozialhilfe- und Präventionsgesetz SPG nichts. Die Gemeinden und der Grosse Rat hatten sich bei den beiden letzten grossen Revisionen des SPG vehement dagegen ausgesprochen. Von all diesen Gemeinden führen geschätzte 50 einen professionellen Sozialdienst mit ausgebildeten Fachleuten. In vielen anderen Gemeinden sind es eine Verwaltungsperson oder der Gemeindeschreiber persönlich, die die Sozialhilfe abwickeln. Für diese Berufssparte geht man offenbar immer noch davon aus, dass „gesunder Menschenverstand“ und etwas Erfahrung genügen, um die „Fälle“ möglichst kostengünstig zu erledigen.

Die Komplexität des Sozialwesens macht eine übergreifende Sozialplanung und Steuerung unabdingbar. Die jetzige Situation ist unbefriedigend, sie genügt den fachlichen Anforderungen nicht und ist zu stark durch die Gemeindeautonomie geprägt. Es ist davon auszugehen, dass wegen fehlendem Fachwissen häufig subsidiäre Leistungen Dritter nicht geltend gemacht werden und so den Gemeinden Mehreinnahmen entgehen. Im Bereich der Sozialhilfe sind darum mehr Vorgaben und eine stärkere Steuerung durch den Kanton notwendig. So legt heute beispielsweise bei den Mietwohnungen jede einzelne Gemeinde fest, welchen maximalen Mietzins sie im Rahmen der Sozialhilfe übernehmen will. Ist dieser unrealistisch tief angesetzt, finden Sozialhilfebedürftige keine Wohnung.

Wichtig ist, dass materielle und immaterielle Sozialhilfe (also Beratung) nicht erst ansetzt, wenn Menschen bereits tief in finanzielle Not geraten sind. Heute bieten viele Gemeindesozialdienste aus kapazitäts- oder fachlichen Gründen kaum immaterielle Sozialberatung an. Hier muss dem SPG unbedingt mehr Geltung verschafft werden.

Mittlere und kleinere Gemeinden sind allerdings meist nicht in der Lage fachlich kompetente Sozialberatung anzubieten. Die Schaffung von regionalen Sozialdiensten, die mit gut ausgebildeten Fachleuten besetzt sind, ist eine Lösung, die viele Nachbarkantone wie Solothurn, Bern und Luzern bereits umgesetzt haben. Mit einem Anreizsystem oder einer gesetzlichen Grundlage für die Schaffung solcher regionaler Sozialdienste könnte der Kanton die Qualität und Nachhaltigkeit der Sozialen Arbeit stark verbessern und damit den Zielsetzungen der Sozialplanung nachkommen.

Erklärungsansätze

Der Aargau denkt und funktioniert in Regionen. In den 1970-er Jahren gelang es in fast allen Bezirken des Kantons Jugend- und Familienberatungsstellen und Amtsvormundschaften zu errichten. Zu Recht waren die damaligen Gründer stolz auf ihr Werk. Man hat es im Fricktal oder Freiamt nicht gerne, wenn die in Aarau zu viel dreinreden. Dies ist grundsätzlich ein sympathischer Zug, aber als Ansatz nicht zielführend. Denn die Gesellschaft, das Sozialwesen und das globalisierte Umfeld verändern sich rasch. Gleichzeitig können die Gemeindebehörden in vielen Gemeinden nur noch mit Mühe besetzt werden. Und doch halten viele Gemeinden daran fest, ihren Sozialdienst selber zu führen. Sie wollen offenbar die Sozialhilfeempfänger und damit auch die Sozialhilfeausgabe selber „im Griff“ haben. Weil auch sozio-ökonomisch benachteiligte Menschen mobiler geworden sind, weichen sie diesem Druck oft aus und ziehen weg in eine grössere, anonymere Agglomerations­gemeinde oder in eine Stadt.

Handlungsansätze und Massnahmen

Das Netzwerk Sozialer Aargau ist der Meinung, dass die Gemeindeautonomie ein hoher Wert ist. Deren Grenzen zeigen sich aber dort, wo sozial benachteiligte Menschen keine fachlich adäquate Beratung und Unterstützung erhalten oder gar abgewimmelt werden. Als Non-Profit-Organisationen machen wir diese Erfahrung in unseren Beratungsstellen leider immer wieder.

Es braucht darum Überzeugungsarbeit der Verwaltung und der Politik, damit im Aargauer Sozialwesen mehr Synergien und regionale Lösungen geschaffen werden und parallel dazu fachliche Qualitätsanforderungen geschaffen werden. Die obigen Forderungen skizzieren die dafür notwendigen Massnahmen.

 

Quellen

Sozialhilfe- und Präventionsgesetz des Kantons Aargau; Praxiserfahrungen diverser NGO im Aargau

 

3. Flüchtlinge als Ressource für unsere Zukunft

Positionspapier 3 / August 2015 / Herausgegeben vom Netzwerk Sozialer Aargau

 

Flüchtlinge als Ressource für unsere Zukunft

 

Einleitung

Das Netzwerk Sozialer Aargau sieht Flüchtlinge nicht als Problem, sondern als Ressource, zum Beispiel für unsere alternde Gesellschaft. Damit die bei uns Schutz suchenden Menschen einen Beitrag zu unserer Gesellschaft wie auch zu ihrer Herkunftsgesellschaft leisten können, muss ihre Entwicklung unterstützt und ihre Kompetenzen gefördert werden. Der Mensch und nicht sein Aufenthaltsstatus muss im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Aus diesem Grund wird in diesem Papier weitgehend auf eine Differenzierung beim Aufenthaltsstatus verzichtet.

Zusammenfassung und Forderungen

Das Netzwerk Sozialer Aargau fordert, dass Flüchtlinge vermehrt als Ressource für unsere Zukunft betrachtet werden. Diese Sichtweise führt dazu, dass integrative Massnahmen möglichst früh und gezielt eingesetzt werden müssen. Die dafür benötigten Ressourcen sind als präventive wie innovative Investitionen anzusehen. Jeder Mensch, unabhängig von seinem Aufenthaltsstatut, muss sich entwickeln und einbringen können

Das Netzwerk Sozialer Aargau fordert:

  1. dass Integrationsmassnahmen möglichst früh ansetzen und die berufliche Qualifizierung priorisiert wird. Der Zugang zur Erwerbsarbeit soll für Asylsuchende, Vorläufig Aufgenom­mene und anerkannte Flüchtlinge durch den Kanton gefördert und erleichtert werden. Zwangsarbeit soll und darf aber kein Thema sein;
  2. dass die personellen Ressourcen in der Betreuung von Flüchtlingen professionalisiert und verstärkt werden;
  3. dass der Kanton für den gesamten Prozess, von der Ankunft der Flüchtlinge im Kanton bis zum Zeitpunkt, zu dem keine Bundesgelder mehr bezahlt werden, zuständig bleibt und ausreichend Ressourcen für diesen Aufgabenbereich bereit stellt. Die Gemeinden sollen die Betreuung von Flüchtlingen erst danach übernehmen, sofern diese zu diesem Zeitpunkt noch von der Sozialhilfe abhängig sind;
  4. dass Freiwillige gezielt gesucht, geschult und eingesetzt werden, um die Integration der Zielgruppe zu unterstützen und mit zu begleiten.

Situationsbeschrieb

Der Schweiz fehlen Fachkräfte. Die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative fordert die Reduktion der Zuwanderung. Aufgrund dieser Ausgangslage wird es für die Schweiz und damit auch für den Kanton Aargau entscheidend sein, das vorhandene Potenzial der hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer zu nutzen und zu fördern. Dies gilt insbesondere auch für Flüchtlinge, welche in der Schweiz eine neue Existenz aufbauen müssen. Leider werden heute die mitgebrachten Qualifikationen und Berufserfahrungen wenig anerkannt und oft gar nicht beachtet. Ihr Potenzial wird deshalb kaum ausgeschöpft.

Die heutige Gesetzgebung sieht explizit keine Integrationsmassnahmen vor, solange der Status noch nicht geregelt ist: Dies obwohl die Anerkennungsquote im ersten Halbjahr 2015 bei 28.1% lag. (Stand 30.6.15). Die Schutzquote für Eritreer/innen im Jahr 2014 betrug 85 Prozent und tendiert zu 89 Prozent. Der Zugang zu Ausbildungs- und Bildungsmöglichkeiten sowie zu Erwerbsmöglichkeiten wird kaum gefördert, sondern immer mehr eingeschränkt. Die Angebote des Kantons für den Asylbereich decken die Nachfrage bei Weitem nicht. So stehen nur begrenzt Deutschkurse zur Verfügung, das Gleiche gilt für berufsbildende Kurse.

Erklärungsansätze

Die unzähligen Verschärfungen der Asylgesetzgebung in den letzten Jahrzehnten haben bisher kaum spürbare Verbesserungen herbeigeführt. Lediglich einzelne nationale Gesetzesbestimmungen zeigen begrenzte Wirkung. Denn mit dem Asylwesen wird fast immer Symbolpolitik betrieben.

Diffuse Ängste vor Verunsicherung und Verlustängste der Bevölkerung werden auf die Asyl- und Flüchtlingsthematik projiziert und schaffen damit ein Klima der Abwehr und Verweigerung. Im Asyl- und Flüchtlingsbereich wird deshalb das Integrationsparadox besonders deutlich: Integrationsmöglichkeiten werden nicht gewährt, rechtliche Bestimmungen schränken sie ein, jedoch wird eine gute Integration später vorausgesetzt.

Migrationsströme aufgrund globaler Veränderungen sind heute weltweit Tatsache. Eine Lösung für diese globale Herausforderung überfordert die Staatengemeinschaft. Lösungen können jedoch nur in der internationalen Zusammenarbeit gefunden werden. Diese führt bei der Bevölkerung zu Gefühlen der Ohnmacht. Der Fokus der öffentlichen Diskussionen liegt auf politischen Massnahmen. Der einzelne Flüchtling, der Mensch, wird kaum wahrgenommen. Dort wo Beziehungen zu Asyl­suchenden und Flüchtlingen aufgebaut werden, setzt sich die Bevölkerung wiederholt auch für diese ein.

Handlungsansätze und Massnahmen

Stärkung von integrativen Angeboten

Die Integration muss so früh wie möglich einsetzen. Wer über Wochen, Monate und manchmal gar Jahre untätig ist, wird träge, verliert Selbstbewusstsein, Agilität und Mobilität, was zu fatalen Verlusten von Kernkompetenzen für die Integration führt. Dies gilt insbesondere für junge Asylsuchende. Bei ihnen liegt im Rahmen von Bildungsangeboten der Fokus auf qualifizierter Facharbeit, die sowohl im Aargau als auch nach einer allfälligen Rückkehr im Herkunftsland eingesetzt werden kann (Ausbildungspraktika in handwerklichen Berufen etc.). Integrative Aktivitäten für Asylsuchende werden als Angebote zur Pflege von sozialen Kompetenzen und zur aktiven Lebensgestaltung gesehen. Diese haben für beide Perspektiven der Asylsuchenden (Verbleib oder Rückkehr) grosse Bedeutung. Im Mittelpunkt steht die Bildung, nicht nur als reine schulische Wissensvermittlung, sondern als Wissen über die neue Umgebung und die Förderung von Kommunikations- und Selbstkompetenzen. Es geht hier nicht nur um Deutschkurse bzw. Beschäftigungsprogramme. Wer aber in der Schweiz möglichst rasch arbeiten will, soll das auch können. Hier müssen Hürden abgebaut werden.

Verantwortung für die Betreuung der Flüchtlinge bleibt beim Kanton

Für anerkannte Flüchtlinge wurde beim Kanton ein Case Management Integration (CMI) eingerichtet. Dieser Ansatz ist sehr zu begrüssen, ressourcenmässig ist die Stelle jedoch ungenügend dotiert. Ihre Integrationsplanung basiert aufgrund der knappen Ressourcen nur auf einer punktuellen Erfassung der Situation. Integration ist jedoch ein Prozess. Dieser wird durch die wechselnden Zuständigkeiten wiederholt gebremst und unterbrochen. Dadurch gehen unnötig Zeit und Energie verloren. Das CMI könnte mehr Wirkung erzielen, wenn es die Fallführung über den gesamten Prozess behalten und begleiten würde. Dies würde auch den individuellen Integrations- und Entwicklungsprozess der Flüchtlinge unterstützen und so nachhaltig und schneller zu einer finanziellen Entlastung der öffentlichen Hand beitragen. Der Capability-Ansatz gemäss kantonaler Sozialplanung ist auch im Asyl- und Flüchtlingsbereich ein gangbarer Weg.

Einbezug von Freiwilligen in die Aufgaben der Regelstrukturen und Nutzung derer Potenziale

Der Mitwirkung durch die Zivilgesellschaft wird im Integrationsprozess von Flüchtlingen eine wachsende, bedeutende Rolle zugemessen. Bisher gab es wenig Zusammenarbeit zwischen den staatlichen Institutionen und den zivilgesellschaftlichen Akteuren im Asylbereich. Hier liegt Potenzial, das mit komplementären Angeboten genutzt werden kann. Um die Zivilgesellschaft zu erreichen und einzubinden, braucht es unbedingt Ressourcen für die Koordination und den Einsatz von Freiwilligen. Die Ressourcen dafür können beim Kanton oder bei einem Leistungserbringer angesiedelt werden.

 

Quellen

Caritas Schweiz, Luzern; HEKS Schweiz, Zürich; www.ag.ch, Asylstatistik Bund;

Bericht: Fachtreffen Fachpersonen im Asylbereich vom 5. Mai 2015, Verbesserung der bildungsorientierten Beschäftigung im Asylbereich im Kanton Aargau, verfasst durch die Anlaufstelle Integration Aargau

4. Bildung ist eine Investition in die Zukunft

Positionspapier 4 / April 2016 / Herausgegeben vom Netzwerk Sozialer Aargau

 

Bildung ist eine Investition in die Zukunft

 

Willst du für ein Jahr vorausplanen, so baue Reis an.
Willst du für ein Jahrzehnt vorausplanen, so pflanze Bäume.
Willst du für ein Jahrhundert planen, so bilde Menschen.“
Tschuang‐Tse

Einleitung

Bildung ist eine Investition in die Zukunft jedes einzelnen Menschen und der Gesellschaft als Ganzes. Bildung vermittelt Wissen und dient gleichzeitig dem Erwerb sozialer Kompetenzen, insbesondere dem Erlernen des Umgangs mit neuen Ideen, Lebensentwürfen, Ansichten. Wer eine inklusive Gesellschaft anstrebt, muss zwingend die Bildung an diesem Ziel ausrichten: Alle Menschen, unabhängig ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft, ihren körperlichen und mentalen Möglichkeiten oder ihrem Glauben sollen ein selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft sein und Bildung in Anspruch nehmen dürfen. In all ihrer Verschiedenheit lernen Menschen in der und durch die Bildung, neues kennen und erleben soziale Dynamik. Der persönliche Austausch auf Augenhöhe ermöglicht konkrete Erfahrungen und kann dazu beitragen Vorurteile abzubauen und Synergien zu erkennen.


Zusammenfassung und Forderungen

Bildung geht über Berufs‐ und Hochschulbildung hinaus. Angemessene Bildungsangebote müssen für jede Lebenslage und jedes Lebensalter zur Verfügung stehen. Die integrative Schulung muss konsequent umgesetzt werden. Durch Sparanstrengungen sind viele Errungenschaften im Bildungsbereich gefährdet: Bildungsabbau muss verhindert werden, gerade im Hinblick auf die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Mitglieder der heutigen Gesellschaft.


Das Netzwerk Sozialer Aargau fordert:

1. Bildung ist als eine Investition in die Zukunft sowohl des einzelnen Menschen wie auch der Gesellschaft als Ganzes zu gewichten. Sie darf nicht nur als Kostenfaktor wahrgenommen werden.
2. Der Präventionscharakter der Bildung ist zu verankern, denn sie hilft unter anderem Armut verhindern.
3. Die Förderung der Chancengerechtigkeit ist über Bildungsangebote zu verstärken.
4. Der Zugang zu formaler und non‐formaler Bildung muss niederschwellig für alle möglich sein. Instrumente zur Anerkennung von informell erworbenen Kompetenzen sind zu schaffen und zu fördern.
5. Bildung ist mit den nötigen Ressourcen auszustatten, denn sie ist ein wichtiger Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe und Mitverantwortung aller Mitglieder der Gesellschaft.


Situationsbeschrieb

Bildung geniesst zu Recht einen hohen Stellenwert. In einem an natürlichen Ressourcen armen Land wie der Schweiz ist Bildung eine wichtige Ressource. Der Fachkräftemangel lässt sich durch Bildung wirksam und nachhaltig beheben. Öffentliche Bildung ist heute weitgehend ausgerichtet auf Erwerbsarbeit und berufliche Qualifikation. Sowohl gesetzlich wie auch im Leitbild des BKS fehlen Aussagen zur Bildung im Sinne von Persönlichkeitsbildung, Kompetenz der Alltagsbewältigung und zum Erlernen gesellschaftlicher, politischer und kultureller Teilhabe.

Es bestehen umfangreiche Bestrebungen, bei der Volksschule zu sparen: Reduktion der Stellenzahl von Lehrpersonen und der Pensen; Reduktion beim Deutsch im Kindergarten, beim Sprachheilwesen, bei Schulbauten; Reduktion oder Kostenerhebung bei Freifächern.

Für die Gesellschaft im Kanton Aargau ist Bildung von grundlegender Bedeutung. Die innovativen Wirtschafts‐ und Forschungszweige, benötigen dringend qualifizierte Fachkräfte. Die sozialpolitische Planung des Kantons hat zum Ziel im Sinne des Capability‐Ansatzes Menschen zu fördern, damit sie die Zusammenhänge in den verschiedenen Lebensbereichen verstehen können und entscheidungsfähig im Sinne des mündigen Menschen werden. Diese persönliche Kompetenz ist eine wesentliche Voraussetzung, um den Capability‐Ansatz umzusetzen.

Auch Bildung für Menschen mit besonderen Ansprüchen muss wo immer möglich im Rahmen der Volksschule mitgedacht und ermöglicht werden. Eine heterogene Gesellschaft erfordert eine inklusive Bildung. Integrative und trennende Settings werden in der Volksschule aber noch immer als gleichwertig bezeichnet. Die Bildungsangebote müssten sich konsequent am Bedarf orientieren. Aktuell ist es oft umgekehrt: Die Menschen werden den zur Verfügung stehenden Angeboten zugewiesen, auch wenn diese gar nicht oder nur zum Teil passen.

Erwachsenen‐ und Weiterbildung dienen der Kompetenzerweiterung aller Menschen. Dazu fehlen Aussagen im BKS‐Leitbild, die Bereiche sind in der politischen und öffentlichen Bildungslandschaft inexistent. Die einzige Ausnahme ist die Weiterbildung bei Erwerbslosigkeit. Der Capability‐Ansatz, welcher der Sozialplanung zu Grunde liegt und Teilhabe und Mündigkeit fördert, findet im BKSLeitbild Erwachsenenbildung keinen Niederschlag. Informell erworbene Kompetenzen werden heute nicht als gleichwertig zur formalen Bildung anerkannt.

Zur politischen Bildung gibt es im Leitbild des BKS keine Aussagen. Die Kantonsverfassung verweist auf die Rolle der Parteien.

Fazit

Im Aargau bestehen bewährte Bildungsinstitutionen im Volks‐, Mittel‐, Hochschul‐ und Berufsbildungsbereich. Auf kantonaler Ebene fehlen aber verbindliche Aussagen. Insbesondere findet die Bildung im Sinne von Alltagsbewältigung und gesellschaftlicher, politischer sowie kultureller Teilhabe keinen Niederschlag im Leitbild des Departements für Bildung, Kultur und Sport BKS.

Niederschwellige Bildungsangebote für jedes Lebensalter und jede Lebenslage bestehen ausschliesslich auf privater Ebene. Diese gehören öffentlich abgesichert oder doch zumindest koordiniert.

Inklusive und integrative Bildung als klare Vorgabe fehlt. Oftmals zeigen standardisierte Abklärungsverfahren klar den Weg in die Volksschule auf. Weil Ressourcen oder Infrastrukturen fehlen und weil kein klares Commitment für die konsequente Integration vorliegt, wird trotzdem ein separatives Setting gewählt. Die vorhandenen Instrumente zur Abklärung müssen die Umsetzung der inklusiven und integrativen Bildung gewährleisten.

Grundsätzlich gilt es, auf allen Stufen bedarfsgerecht Angebote zu entwickeln. Dazu müssen die notwendigen Grundlagen erhoben, ausgewertet und in der weiteren Entwicklung berücksichtigt werden.

Handlungsansätze

1. Der Staat zählt Bildung zu seinen Kernaufgaben und stellt aus diesem Selbstverständnis heraus die nötigen Mittel für eine inklusive Bildung zur Verfügung: Der Zugang zu Lebenslanger Bildung für alle ist ein unerlässliches Willensziel einer inklusiven Gesellschaft.
2. Bildungsangebote für die Alltagsbewältigung und zur Förderung der gesellschaftlichen, politischen sowie kulturellen Teilhabe, wirken sich positiv auf die Einzelperson und auf die gesamte Gesellschaft aus. Die Kosten von Angeboten zur Persönlichkeitsbildung sind sicher niedriger als jene von Korrektur‐ und Strafmassnahmen, welche durch mangelnde
Integrationsmöglichkeiten verursacht werden.
3. Bildung muss für alle ungeachtet ihrer physischen und mentalen Möglichkeiten inklusiv und wirksam sein.
4. Einen Bildungsabbau kann und darf sich der Aargau nicht leisten: Verzicht auf Erhöhung der Klassengrössen, keine Reduktionen bei Stellenzahl und Spezialangeboten, keine Aufweichung bei den Anforderungen an die Qualifikation der Lehrpersonen.

5. Bezahlbarer Wohnraum für alle!

Positionspapier 5 / Juli 2017 / Herausgegeben vom Netzwerk Sozialer Aargau

 

Bezahlbarer Wohnraum für alle!

 

Zusammenfassung

Im Aargau wird rege Wohnraum gebaut, zum grössten Teil im gehobenen Preissegment. Günstiger Wohnraum ist hingegen knapp. Der Aargau kennt keine Politik des sozialen Wohnungsbaus, keine Mietzinsverbilligungen, wenig genossenschaftlicher Wohnungsbau und kaum raum- und städteplanerische Massnahmen, die gezielt eine „Durchmischung der Bevölkerung“ fördern. Es zeichnet sich eine zunehmende Segregation ab.

Das fehlende Angebot an bezahlbaren Wohnungen für finanzschwache Mietende kann in einzelnen Gemeinden wegen der hohen Mieten zu steigenden Sozialhilfekosten führen. Häufig legen  die Sozialhilfebehörden tiefe Mietzinslimiten fest. Weil jede Gemeinde die Mietzinsrichtlinien selber festlegen kann, ist die „Verlockung“ gross, diese tief anzusetzen und so potenzielle Sozialhilfeempfänger fernzuhalten.

Oft ist es so, dass Gemeinden mit günstigem Wohnraum überdurchschnittlich hohe Sozialhilfekosten zu tragen haben. Diesem Risiko muss strukturell mit einem wirksamen Lastenausgleich begegnet werden. Der geplante, neue Finanzausgleich im Aargau geht hier viel zu wenig weit.

 

Das Netzwerk Sozialer Aargau fordert:

  1. Kanton und Gemeinden ergreifen raum- und städteplanerische Massnahmen, die eine Durchmischung der Wohnbevölkerung fördern und einer Segregation zuvorkommen.
  2. Kanton und Gemeinden fördern den Sozialen Wohnungsbau durch geeignete Massnahmen wie die Abgabe von Bauland im Baurecht, das Vermieten von eigenen Wohnungen an finanzschwache Mietende und die Förderung des genossenschaftlichen Wohnungsbaus.
  3. Der Kanton legt Mietzinsrichtlinien für Sozialhilfe und Renten-Beziehende fest. Er orientiert sich dabei an den effektiven Marktpreisen. Diese Richtlinien sind für die Gemeinden verbindlich.
  4. Der Kanton beobachtet die Sozialhilfepraxis der Gemeinden. Er ergreift Massnahmen, wenn Gemeinden mittels unlauteren Mitteln die Wohnsitznahme von Sozialhilfe-Beziehenden verhindern, respektive deren Wegzug provozieren (Umgehung des Abschiebeverbots gemäss Art. 10 ZUG).
  5. Die Norm SIA 500 für hindernisfreie Bauten wird bei Um- und Neubauten konsequent umgesetzt. Der Kanton fördert den Bau von hindernisfreien Wohnungen für Menschen mit einer Behinderung und für Menschen im Alter.
  6. Liegenschaftsbesitzer und Immobilienverwaltungen nehmen ihre soziale Verantwortung vermehrt wahr und stellen Wohnraum für finanzschwache Mietende bereit.

 

Erläuterungen

Der Aargau ist ein Zuwanderungskanton. 2016 wuchs die Bevölkerung um 8‘907 Personen oder 1,36 Prozent auf 662'224 Personen. Die aktuellen Einwanderungsgruppen im Aargau kommen aus den traditionellen Ländern im Süden (Italien, Spanien, Portugal) aus Deutschland, dem Norden und dem Osten. Es sind oft gut ausgebildete und zahlungskräftige Personen. Andererseits kommen per Familiennachzug auch einkommensschwache Gruppen in die Schweiz sowie mittellose Migranten und Flüchtlinge aus Krisenregionen und Kriegsgebieten. Neben dem Zuzug aus dem Ausland fällt auch die hohe Zuwanderungsquote aus den Nachbarkantonen auf, insbesondere aus dem Kanton Zürich. Die Wachstumsprognosen für 2035 sagen dem Aargau mehr als 740‘000 Einwohner voraus. Diese Zahlen machen klar, es wird im Aargau auch künftig viel zusätzlichen Wohnraum brauchen. Wenn man zusätzlich bedenkt, dass 1/8 der Bevölkerungen Menschen mit Behinderung sind, wird deutlich, dass hindernisfreies Bauen prioritär ist.

Im gehobenen Preissegment wird viel Wohnraum gebaut, gerade von institutionellen Anlegern wie Pensionskassen. Bezahlbarer Wohnraum für Menschen mit kleinem Budget bleibt künftig knapp, wenn keine Massnahmen dagegen ergriffen werden. Seit Jahren findet eine Konzentration von minder bemittelten Bevölkerungsschichten in Gemeinden und Quartieren mit günstigem Wohnraum statt. Das kann in einigen Gemeinden zu einer eigentlichen Ghettoisierung führen, die aus politischen und sozialen Gründen unerwünscht ist. Leben in solchen Quartieren überdurchschnittlich viele Sozialhilfeempfänger/innen strapaziert dies die Gemeindekassen erheblich, was die Ausgrenzung dieser Bevölkerungsgruppe verstärkt. Manche Gemeinde versucht die Sozialhilfekosten zu dämpfen indem sie die Mietzinsrichtlinien (die von der Sozialhilfe maximal bezahlten Mietkosten) so tief festlegt, dass sozialhilfeabhängige Menschen keine Wohnung finden und wegziehen müssen.

 

Nicht nur für Sozialhilfebezüger, auch für Menschen mit einer Behinderung ist der aktuelle Wohnungsmarkt im Aargau noch zu ausgrenzend. Nach wie vor werden Neubauten errichtet, die wenig oder gar nicht behindertengerecht sind. Menschen mit einer Behinderung werden somit aus einem Grossteil des Wohnungsmarktes ausgeschlossen. Es ist mitunter die Aufgabe der öffentlichen Hand, dieser Diskriminierung entgegenzuwirken und die Umsetzung von hindernisfreien Bauten auch für Private möglichst attraktiv zu machen.

 

Der freie Markt ist kaum steuerbar

Der Aargau gehört zu den leistungsstarken Kantonen des Mittellandes und überschneidet sich teilweise mit den Wirtschaftsregionen von Zürich und Basel. Die Knappheit von günstigem Wohnraum steigt auch im Aargau, die Mietkosten verteuern sich stetig, teilweise führt die Situation zu spekulativen Mietzinsen. Zudem werden viele Liegenschaften saniert und die Wohnungen danach teurer vermietet.

Begehrte Bau- und Wohnzonen sind sehr teuer und nur für Vermögende und Einkommensstarke erschwinglich. Weniger attraktive Wohngebiete - vorab in der Agglomeration - „leiden“ daher unter finanziell und sozial Benachteiligten Einwohnern.  Das zieht eine Schwächung des Steuersubstrats und eine Erhöhung der Sozialkosten der öffentlichen Hand nach sich.

Die liberale Wohn-, Bau- und Mietpolitik führt zu hoher Flexibilität und einer schnellen Reaktion auf diesem Markt, was zu begrüssen ist. Der Wohnungs-Markt ist dadurch aber wenig steuerbar und bietet nichts an für einkommensschwache Nachfragende.

 

Fehlende Wohnpolitik

Finanziell und sozial Benachteiligte werden durch hohe Mietzinse übermässig belastet. Das kann zu Verschuldung und schliesslich zum Verlust der Wohnung führen. Eine neue, bezahlbare Wohnung zu finden, ist meist schwierig. Die Nachfrage nach günstigem Wohnraum ist gross und ein deutlicher Hinweis auf die prekäre Wohnsituation vieler sozial benachteiligter Menschen. Es braucht daher verstärkte Anstrengungen von den kantonalen und kommunalen Akteuren für den Erhalt preisgünstigen Wohnraums und zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus, damit auch  wirtschaftlich Benachteiligte besseren Zugang zum Wohnungsmarkt erhalten.

 

Sicherer Wohnraum ist eine Voraussetzung für die soziale und berufliche Integration

Sozialwissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass sichere und angemessene Wohnverhältnisse die Voraussetzung für Gesundheit und Integration sind. Wenn die Sozialpolitik für ihre Klientel eine gute Gesundheit und eine erfolgreiche soziale und berufliche Integration anstrebt, muss sie den Grundsatz „Housing first“ anwenden. Nur wer in einer sicheren und dauerhaften Wohnsituation lebt, ist zu diesen Anpassungsleistungen imstande.

 

Hindernisfreies Bauen

Durchmischte Wohnformen ermöglichen das Zusammenleben aller und fördern eine inklusive Gesellschaft. Damit eine Durchmischung entstehen kann, braucht es vielfältige Strukturen. Die Norm SIA 500 «Hindernisfreie Bauten» ist in der Schweiz die massgebliche Referenz für die Projektierung und Ausführung im Bereich Hochbau. Sie definiert wie gebaut werden muss, damit eine Baute oder Anlage als hindernisfrei (behindertengerecht) gilt. Gerade bei Wohnbauten wird die SIA Norm  oft gar nicht angewendet. Bauherren und Baubehörden sind aufgerufen diese wichtige Norm konsequent umzusetzen.

 

 

Quellen

Bundesamt für Statistik, Statistik Aargau, Sozialalmanach 2014 Caritas Schweiz, HEKS Positionspapier Soziale Integration